Ein inzwischen 59 jähriger Patient kommt erstmals vor 8 Jahren in unsere Praxis. Er berichtet u. a. über seit 2 Jahren bestehende Gelenkbeschwerden. Sonst ist er überwiegend gesund.
Die Laborwerte sind völlig unauffällig, insbesondere finden sich keine erhöhten Entzündungswerte. Die Schmerzen treten vorwiegend in den Knien auf, sind jedoch immer mal wieder an einer anderen Stelle, so z. B. im Nacken-Schulter-Bereich und im Bereich der Hände. Es lässt sich eine schwere Daumengrundgelenksarthrose beidseits feststellen, so dass – auch nach orthopädischer Diagnostik – überwiegend Abnützungen als Ursache angenommen werden.
Die Mutter des Patienten war angeblich an einem atypischen Morbus Parkinson erkrankt, Geschwister hat der Patient keine. Er berichtet, dass er körperlich noch nie so fit gewesen sei, schon im Schulsport habe er deutlich schlechtere Leistungen erbracht als die anderen. Morgens wache er häufig an Schmerzen in den Oberschenkeln auf und sei völlig steif, erst im Laufe der Zeit werde die Bewegungsfähigkeit besser.
Er fühle sich altersbedingt zunehmend erschöpft und wisse wirklich nicht, wie er bis zu seinem 67. Lebensjahr arbeiten solle. Er arbeite zwar körperlich nicht schwer, sei auf dem Büro tätig, der Stress und Zeitdruck mache ihm jedoch auch zunehmend zu schaffen. Immer mal wieder, insbesondere bei seelischen Belastungen habe er einen Druck hinter dem Brustbein.
Man habe ihn vor einigen Jahren wegen seiner Beschwerden schon einmal in eine psychosomatische Kur geschickt. Das habe ihm zwar gut getan, jedoch nichts Wesentliches verändert. Er habe auch nicht den Eindruck, dass mit seinem Seelenleben etwas nicht in Ordnung sei. Er habe ein eher ruhiges, völlig normales Leben mit den üblichen Sorgen und Problemen wie sie jeder habe. Kopfweh plage ihn häufig und eine starke Müdigkeit.
Im Urlaub gehe es ihm generell besser. Auch im Sommer sei alles deutlich besser als im Winter. Wärme sei geradezu ein Lebenselixier für ihn. Die Gelenkschmerzen seien vor allem morgens schlimm. Wenn er die Gelenke „eingelaufen“ habe, sei es besser. Bei großer Belastung stehe die Arbeit wie ein Berg vor ihm.
Das alles habe mit 50 Jahren angefangen, das sei für ihn die „magische“ Zahl. Diese Beschwerdeschilderung zog sich einige Jahre so dahin, ohne dass etwas Entscheidendes geschah. Weder im Knochenszintigramm noch bei den fachärztlichen Untersuchungen war etwas Krankhaftes festzustellen.
An einem Wochenende erkrankte unser Patient an einem hochfieberhaften grippalen Infekt und rief uns notfallmäßig. Der Infekt führte zu „Startschwierigkeiten“. Er hatte starke Muskelschmerzen, die Bewegung einschließlich des Schluckens funktionierte nicht richtig, beim Sprechen hatte er Probleme, die er als „Krämpfe“ beschrieb, so dass er kaum Worte heraus brachte.
Grob neurologisch stellten wir nichts Besonderes fest, waren jedoch von der Schwere der Beschwerden und den Problemen mit Schlucken und Sprechen überrascht. Alle Beschwerden besserten sich nach Abheilen des Infekts. Dennoch drängten wir nach diesem Ereignis auf eine neurologische Untersuchung. Dabei wurde ein krankhaftes EMG festgestellt. Der Neurologe äußerte den Verdacht auf eine Myotonie und empfahl eine Abklärung durch einen Spezialisten.
Der Patient fuhr daraufhin zu einem Professor an einer ca. 250 km entfernt gelegenen Universitätsklinik. Dieser bestätigte die Verdachtsdiagnose und führte Untersuchungen durch, u. a. genetische Diagnostik, die ca. 1 Jahr in Anspruch nehmen wird, bis wir das genaue Ergebnis bekommen.
Er meinte auch, dass wohl die Mutter des Patienten ebenfalls an dieser Erkrankung gelitten habe und fehlerhaft diagnostiziert worden sei. Er empfahl eine nochmalige gründliche Herzuntersuchung und die Untersuchung der Kinder und Enkelkinder des Patienten, da die Erkrankung sehr häufig mit Herzproblemen vergesellschaftet sei und sich von Generation zu Generation verschlimmere, so dass eine genetische Beratung dringend zu empfehlen sei. Da wir derzeit ohnehin nichts Entscheidendes für unseren Patienten tun können, warten wir nun auf den endgültigen Bescheid.