„Wir haben ein Spenderorgan für Sie. Aber Sie müssen bis 16 Uhr
in Bochum sein!“ Oliver Kalweit schaut auf die Uhr. Es ist schon
9:30 Uhr. Und 650 Kilometer liegen zwischen ihm und seiner Chance
auf ein neues Leben. Der junge Mann handelt sofort und ruft die
DRF-Alarmzentrale an. Blitzschnell organisiert die Deutsche Rettungsflugwacht
den nahtlosen Transport mit Hubschrauber und Krankenwagen.
Noch am selben Tag kann das DRF-Mitglied operiert werden.
Flug in ein neues Leben
Über sieben Jahre hat Oliver Kalweit gewartet. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Er wollte schon nicht mehr daran glauben, als ihn im August 2004 die Nachricht erreicht: „Geeignetes Spenderorgan steht bereit.“ Seine Gedanken kehren zurück ins Jahr 1994. Er steht kurz vor dem Abitur, als ihn regelmäßig Übelkeit am Morgen plagt. „Außerdem war ich immer schlapp und habe sehr viel geschlafen“, sagt das DRF-Mitglied. „Mit meinem Körper war etwas nicht in Ordnung, das habe ich gespürt.“ Eine gründliche Untersuchung beim Arzt lässt keinen Zweifel an der Diagnose. Oliver Kalweit leidet an einer Minimal Change Glomerulonephritis – einer entzündlichen Erkrankung des Immunsystems, die eine Veränderung der Nierenstruktur mit sich bringt. Eine sofort eingeleitete Therapie mit Kortikoiden und Immunsuppressiva, um die Entzündung zu bekämpfen, bringt nicht den gewünschten Erfolg. Die Krankheit schreitet voran. Drei Jahre nach der Erstdiagnose muss Oliver Kalweit mit der Dialyse beginnen …
„Ich hätte die Niere ablehnen müssen, wenn mich die DRF nicht geflogen hätte. Denn in so kurzer Zeit wäre die Strecke von Oberstaufen (Bayern) nach Bochum für mich nicht zu schaffen gewesen, weder mit dem Auto noch mit dem Zug. Dann müsste ich jetzt immer noch zur Dialyse. Was das bedeutet, kann sich nur vorstellen, der die Tortur am eigenen Leib erfahren hat“, sagt der Transplantierte erleichtert. Die regelmäßige Blutwäsche, die bei Oliver Kalweit dreimal pro Woche für anfangs fünf, später für sechseinhalb Stunden stattfand, ist sehr strapaziös. Blutdruckabfall, Übelkeit und Kopfschmerzen sind chronische Begleiterscheinungen. „Ich war nach der Dialyse so erschöpft wie nach einem Marathonlauf. Während die Sportler ihrem Körper nach einem langen Lauf eine Pause gönnen, musste ich nach nur kurzer Ruhezeit wieder antreten“, so der Student. Belastend ist auch die rigorose Einschränkung der Trinkmenge, da sich das Wasser bis zur nächsten Dialyse im Körper ansammelt und nicht ausgeschieden werden kann. Dies wird unterstützt durch eine strenge, salzarme Diät, um den sowieso immer vorhandenen Durst nicht noch zu verschlimmern. „Noch in den 60er-Jahren war chronisches Nierenversagen ein Todesurteil. Heute können Patienten durch die Dialyse Jahrzehnte überleben“, weiß Dr. Jörg Braun, ärztlicher Leiter der DRF, „doch wäre es wünschenswert, wenn mehr Organe zur Transplantation zur Verfügung stehen würden, denn die Lebensqualität der Betroffenen ist erheblich eingeschränkt.“ Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (www.organspende.de) zufolge klafft die Schere zwischen potenziellen Empfängern und Spendern immer noch sehr weit auseinander. Im Jahr 2003 warteten in Deutschland 9.479 dialysepflichtige Patienten auf eine Niere. Nur 2.516 Organe wurden transplantiert.
Enges Zeitfenster gemeistert
Blicken optimistisch in die Zukunft:
Oliver Kalweit und seine Partnerin Christiane Haumann.
Nicht zuletzt ist es für die Erkrankten von Vorteil, die Dauer der Dialyse möglichst kurz zu halten. Wenn man die Kosten einmal unberücksichtigt lässt (allein die S a c h kosten betragen nach Berechnungen der AOK Baden-Württemberg rund 30.000 Euro pro Patient und Jahr), ist eine Dialyse für den Körper sehr belastend. Schon nach wenigen Jahren kann es unter anderem zu Gefäßverkalkungen, Herzerkrankungen, Knochen- und Gelenkschäden kommen. Das hat auch Oliver Kalweit am eigenen Körper erfahren. „Heute fühle ich mich wie neugeboren!“, so der angehende Umweltingenieur, der im vergangenen Sommer gar nicht glauben konnte, wie schnell alles gehen kann. „Während des Fluges mit dem DRF-Hubschrauber war ich nervös, mir war vor Aufregung ganz übel. Aber die Crew an Bord war sehr nett, ich konnte über Funk die Gespräche mithören und fühlte mich gleich ins Team integriert“, schildert er den ersten Hubschrauberflug seines Lebens. Nur wenige Stunden später wird ihm im Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer eine neue Niere eingesetzt. „Als ich im Aufwachraum zu mir kam, habe ich erst einmal gefragt, wann es denn losginge – dabei hatte ich die fünfstündige Operation schon hinter mir“, erinnert sich Kalweit, der mit dem neuen Organ gut zurecht kommt. „Meine Übelkeit ist verschwunden, und ich kann wieder alles essen und trinken. Diese neue Lebensqualität verdanke ich auch der DRF“, betont der 26-Jährige nachdenklich. „Denn ohne die schnelle und professionelle Transport-Koordination der DRF-Alarmzentrale hätte ich dieses enge Zeitfenster nie einhalten können.“ Er vertraut darauf, dass sein erster Hubschrauberflug auch sein letzter bleiben wird. Jedenfalls als Patient an Bord eines Rettungshubschraubers.
CLAUDIA ANDERS
Organspende per Gesetz
Seit 1997 ist die Organtransplantation in Deutschland gesetzlich geregelt. Die rechtliche Grundlage bildet die erweiterte Zustimmungslösung. Sie besagt, dass Angehörige entscheiden, ob die Organe für eine Transplantation zur Verfügung stehen, wenn der Verstorbene selbst keine Erklärung (Organspendeausweis) abgegeben hat. Für diese Lösung haben sich unter anderem auch Großbritannien und die Niederlande entschieden. In Frankreich, Belgien und Österreich hingegen gilt die Widerspruchslösung. Sie erlaubt eine Organentnahme grundsätzlich, wenn der potenzielle Spender zu Lebzeiten nicht ausdrücklich schriftlich widersprochen hat. Angehörige brauchen nicht zurate gezogen zu werden. Im direkten Ländervergleich des Jahres 2003 fällt auf, dass in Österreich von 774 Personen, die auf eine Spenderniere gewartet haben, 342 Personen transplantiert werden konnten (44 %). In Deutschland kommen 9.479 Wartende auf 2.516 Transplantierte (27 %)
(QUELLE : EUROTRANSPLANT)