Eine knapp 70 jährige Patientin kommt nach einem Zahnarztbesuch in die Praxis und berichtet mir, dass sie sich sehr krank fühle, sie habe kaum noch die Treppen hoch geschafft. Sie verreise in 2 Tagen. Da es Freitagnachmittag ist, steht mir die Möglichkeit zu einer ausführlichen Blutuntersuchung nicht mehr zur Verfügung. Bei der körperlichen Untersuchung finde ich keinerlei Anhaltspunkte für das schwere Krankheitsgefühl. Das EKG zeigt ebenfalls keine Störung, dennoch schicke ich die Patientin noch zur Kardiologin, die mir freundlicherweise noch einen akuten Soforttermin für die Patientin gibt. Die Patientin fühlt sich so schwach, dass sie sich kaum in der Lage fühlt, die paar Meter dorthin zu kommen. Doch auch im dort durchgeführten Ultraschall des Herzens findet sich nichts Krankhaftes. Als die Patientin anschließend wieder zu mir kommt und ich ihr erkläre, dass wir am Montag Blut abnehmen müssen oder ich sie in die Klinik einweisen kann, um weiter nach der Ursache zu forschen, fragt sie mich, ob sie dann die Reise nicht antreten könne. Ich erkläre ihr, dass ich leider keine Entscheidung für sie treffen könne, sie aber im Zweifelsfall eben die Reise absagen müsse. „Das müssen Sie aber meinem Mann beibringen“, meint sie. Der glaubt mit Sicherheit, dass ich nichts habe und nur nicht mit will. Machen Sie denn diese Reise nicht gerne?“, frage ich sie. „Nein, überhaupt nicht“, antwortet sie. Wissen Sie, ich weiß auch nicht, woran das liegt, aber ich reise einfach nicht mehr gerne und mein Mann hat dafür überhaupt kein Verständnis. Natürlich war ich bereit, den Ehemann anzurufen. „Ach was“, sagte der zu mir, als ich ihn anrief, „meine Frau ist kerngesund. Sie will nur wieder einmal diese Reise nicht machen. Ich werde aber trotzdem fahren. Ich werde nicht immer nur zu Hause sitzen. Sie muss dann eben allein zu Hause bleiben“. Die Patientin fuhr also nicht mit ihrem Mann. Am Montag kam sie frisch und fröhlich zu mir. Ich nahm mir viel Zeit und wir redeten über seelische Zusammenhänge von Krankheiten. Sie gab jetzt offen zu, dass die Angst vor der Reise sie bestimmt krank gemacht habe. Das sei ihr aber in dem Moment auch nicht klar gewesen. Wir verabredeten, dass sie sich zukünftig nicht mehr zu etwas überreden lässt, was sie absolut nicht will. Für mich war die Schwere des Krankheitsgefühls und die Tatsache, dass sich die Patientin kaum mehr auf den Beinen halten konnte, so beeindruckend, dass ich wirklich glaubte, es stecke eine körperliche Störung dahinter. Aber nach dem medizinischen Grundsatz: „Wer heilt, hat Recht“, hatte ich dennoch der Patientin geholfen und auch daraus gelernt.