Dr. Bergner beschreibt in seinem Artikel sehr zutreffend Probleme des ärztlichen Alltags. Diese werden von den meisten Patienten und von unserer Gesellschaft wenig beachtet, obwohl allen klar sein sollte, dass ein zufriedener Arzt, der auch noch ein Leben außerhalb seines Berufes hat, vermutlich der bessere Arzt ist.
Ich selbst kann nur als Allgemeinärztin in einer Stadt-Land-Praxis Stellung beziehen. Mein Arbeitsalltag beginnt generell um 6:45 und endet – je nach Arbeitsbelastung – zwischen 20:00 und 22:00 mit allenfalls 1 Stunde Pause. Daneben lese ich täglich 1-2 Stunden Fachliteratur, an den Wochenenden verstärkt, habe mehrmals pro Quartal Nachtdienste und nach dem Wochenenddienst, der von Freitag bis Sonntag dauert und an dem ich tagsüber ganz und nachts im Wechsel mit meinem Kollegen 1-2 Nächte arbeite, geht der Arbeitsalltag ohne Pause weiter.
Ich habe Familie und einen Haushalt zu versorgen. Dies ist für mich bereits häufig ein Spagat. Wenn ich krank bin, arbeite ich weiter, da es für meinen Partner nahezu unmöglich ist, das Pensum alleine zu bewältigen und wir beide uns das schon auf Rücksichtnahme aufeinander nicht antun. In Krankheit arbeiten heißt häufig mit Medikamenten und unter Aufwendung der ganzen Kraft die Stellung halten. Zahnärztliche und sonstige Behandlungen werden nicht durchgeführt, wenn es sein muss, sondern wenn Zeit dafür ist – und dann immer schnell und notfallmäßig, da eine längere Behandlung im Prinzip das ganze System zum kollabieren bringt, auch mein eigenes, kräftemäßiges System, das sich immer am oberen Limit der Leistungsfähigkeit befindet. Eine längere Krankheit bedroht auch immer die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des gesunden, ärztlichen Partners und nicht zuletzt das Weiterexistieren der Praxis. Ein Praxisvertreter kostet überdimensional viel und kann auch von den Patienten, die ihren langjährigen Arzt als Vertrauensperson haben, nicht ohne weiteres angenommen werden.
Ich denke, dass in einer Wohlstandgesellschaft, die höchste Ansprüche fordert, ein Arzt für seine lange Ausbildung und Erfahrung, für sein Wissen und seine menschliche Zuwendung – unabhängig von der Finanzierung der Apparatemedizin – so entlohnt werden müsste, dass es ihm möglich ist, in Ruhe und mit ausreichend Zeit seine kranken Patienten zu versorgen. Der ärztliche Beruf ist für das Leben jedes einzelnen Menschen eine Notwendigkeit und die Gesellschaft tut sich selbst keinen Gefallen, wenn sie das ärztliche Handeln und den Arztberuf zunehmend ab- und die Bürokratie aufwertet. Es ist eben nicht nur relevant wie viele Menschen den ärztlichen Beruf ausüben, sondern auch unter welchen Bedingungen sie ihn ausüben können. Es dürfte für jeden Einzelnen ein Anliegen sein, die Prioritäten in unserer Gesellschaft auf Wesentliches zu konzentrieren. Bevor unsere Gesellschaft immer noch mehr vom Arztsein fordert, sollte sich jeder Bürger Gedanken machen über seine Eigenverantwortung und darüber, was er selbst in seinem Beruf zu leisten bereit ist. Dass die allgemeinen Prinzipien des -Arbeitsmarktes für Menschen in humanitären Berufen nicht gelten sollen und dass Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, ständig durch den Hinweis auf humanitäres Verhalten eingeengt und unterdrückt werden, entspricht nicht den Regeln der Fairness.
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