ADHS und Sucht: Eine unterschätzte Verbindung
Inwieweit hängen AD(H)S und die Anfälligkeit für Süchte zusammen? Der Zusammenhang von AD(H)S und Suchterkrankungen wird bisher weitgehend unterschätzt. Vielen Betroffenen ist nicht bewusst, dass eine AD(H)S-Erkrankung das Risiko zur Entwicklung von Süchten erhöht. Neben verhaltenspsychologischen Erklärungsansätzen sind auch neurobiologische Beobachtungen diesbezüglich sehr aufschlussreich. Weshalb also ist das Risiko süchtig zu werden bei AD(H)Slern so stark ausgeprägt und warum setzen Betroffene teilweise gezielt bestimmte süchtig machende Stimulanzien ein, um sich selbst zu behandeln?
Warum ADHS das Risiko für Süchte erhöht
Für Erwachsene, die als Kind an AD(H)S litten oder noch heute daran leiden, besteht ein höheres Risiko, süchtig zu werden. Für Kinder mit dem Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom, kurz AD(H)S besteht im Erwachsenenalter ein erhöhtes Risiko süchtig zu werden. Doch wie ist das zu erklären?
Verhaltenspsychologische Erklärungsansätze
AD(H)S gehört zu den häufigsten kinder- und jugendpsychiatrischen Erkrankungen überhaupt. Etwa drei bis fünf Prozent aller Kinder leiden an einer Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung. Was viele nicht wissen, bei zahlreichen Betroffenen besteht die Krankheit auch im Erwachsenenalter weiter. Es ist bekannt, dass zwischen AD(H)S und anderen Erkrankungen ein Zusammenhang besteht. So sind Betroffene zum Beispiel anfälliger für Angststörungen und Depressionen.
Impulsivität und Risikobereitschaft bei ADHS
Die Impulskontrolle eines AD(H)S-Erkrankten ist unzureichend. Oft verlieren von AD(H)S betroffene Menschen auch bei scheinbar geringfügigen Anlässen die Beherrschung. Diese Impulsivität sorgt dafür, dass AD(H)Sler unbedacht vorgehen und leicht zu beeinflussen sind. Da AD(H)S-Erkrankte den Alltag und die Langeweile nur schwer ertragen, sind sie immer auf der Suche nach neuen Eindrücken.
Die Suche nach schnellen Belohnungen
Von AD(H)S Betroffene planen nicht weit im Voraus. Deshalb ist gerade die kurzfristige euphorisierende Wirkung von Drogen so reizvoll für sie. Ihr extremes Wesen ist von der Suche nach mehr getrieben. Normalität und Alltag befriedigen sie nicht ausreichend. Auf ihrer ständigen Flucht vor innerer Leere, die dem Mangel an persönlicher Sinngebung geschuldet ist, suchen sie den kurzfristigen Kick.
Soziale Isolierung als Verstärker für Suchtanfälligkeit
Die verminderte Aufmerksamkeit und das unbeherrschte Verhalten vermitteln der Außenwelt den Eindruck, betroffene Kinder und Jugendliche seien nicht interessiert an ihrer Umgebung. AD(H)Sler sind stimmungslabil und sehr oft angespannt. Sie haben hohe Erwartungen an die Welt und werden diese nicht erfüllt, ist extreme Unzufriedenheit die Folge. Dieses Verhalten führt häufig dazu, dass sie sich isolieren und zu sozialen Außenseitern werden.
Neurobiologische Hintergründe
Neben den verhaltenspsychologischen Erklärungsansätzen muss auch der neurobiologische Ansatz Beachtung finden, wenn es um die Gründe für das Auftreten von AD(H)S und dessen Behandlung geht. Es wird vermutet, dass genetischen Faktoren eine wichtige Rolle bei der Entstehung von AD(H)S zukommt.
Die Rolle des Neurotransmitters Dopamin
Im Besonderen werden in diesem Zusammenhang Gene für bestimmte Proteine betrachtet. Diese Proteine wiederum beeinflussen den Kreislauf des Neurotransmitters Dopamin, auch Glückshormon genannt, an der Synapse. Vereinfacht gesagt, bedeutet dies, dass das Dopamin bei AD(H)S-Erkrankten aufgrund genetischer Veränderungen schneller zurücktransportiert wird.
Ergebnisse aus bildgebenden Verfahren (PET und fMRT)
Die beiden bildgebenden Verfahren, also die Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) und die Positronen-Emissions-Tomografie (PET), ergaben, dass bestimmte Hirnregionen bei AD(H)S-erkrankten Kindern Veränderungen aufweisen. Betroffen sind das Stirnhirn, die für die Bewegung zuständigen Areale der Hirnrinde, der Scheitellappen des Großhirns, das Striatum sowie das Kleinhirn.
Das gestörte Belohnungssystem bei ADHS
Eine Volumenabnahme der grauen und weißen Gehirnsubstanz ist, mit Hilfe von bildgebenden Verfahren, bei von AD(H)S betroffenen Erwachsenen weiterhin im orbitofrontalen Cortex nachzuweisen. Dieser steht in engem Zusammenhang mit den Belohnungsprozessen. Das Belohnungssystem im Gehirn ist für positive Gefühle und deren Verstärkung essentiell.
Substanzgebundene Süchte bei ADHS-Betroffenen
Zu den substanzgebundenen Süchten zählen unter anderem Nikotin, Alkohol, Heroin und Kokain. Die meisten AD(H)Sler nehmen recht viel Koffein zu sich, wobei sich das Gefahrenpotential dabei in Grenzen hält. In der Regel sind Magenschmerzen oder Übergewicht die einzigen negativen Begleiterscheinungen.
Nikotin und Alkohol: Einstieg und Risiken
Die Risiken von Alkohol und Nikotin hingegen sind allgemein bekannt. Da AD(H)Sler zu übermäßigem Konsum neigen, sind gerade diese Einstiegsdrogen für sie so gefährlich. Nikotin hat die Besonderheit, dass es die Wirkung des Dopamins imitiert und somit regulierend auf die Beschwerden des AD(H)Slers wirkt.
Cannabis und seine Auswirkungen
Ähnlich verhält es sich mit Cannabis. Diese Droge macht ebenfalls gelassen und entspannt den Konsumenten. Eine „mir-doch-alles-egal-Stimmung“ stellt sich ein. Das Problem ist, dass AD(H)Sler sowieso schon Schwierigkeiten haben, sich zu motivieren, sich auf ein Ziel zu fokussieren und darauf hin zu arbeiten.
Härtere Drogen: Kokain, Heroin und Ecstasy
Die harte Droge Kokain wirkt sich ähnlich auf den Dopaminrezeptor aus, wie es der Neurotransmitter Dopamin selbst tut. Kokain macht zudem stark abhängig. Ecstasy ähnelt in seiner Wirkung dem Methylphenidat. Doch ist bei Ecstasy in der Regel nicht klar, in welcher Dosierung die eigentliche Substanz vorliegt.
Nicht substanzgebundene Süchte bei ADHS-Betroffenen
Wie erwähnt, ist das Suchtpotential bei AD(H)Slern auch bei nicht stoffgebundenen Süchten besonders hoch. Eine Folge kann zum Beispiel die Arbeitssucht sein. Der Betroffene findet kein gesundes Maß und verausgabt sich in seinem Job völlig.
Spielsucht und Online-Glücksspiel
Besondere Aufmerksamkeit soll in diesem Zusammenhang der Spielsucht zukommen, da diese unter AD(H)Slern sehr weit verbreitet ist. Die kurzfristige und immer wiederholte „Belohnung“ etwa beim Gewinn an einem Spielautomaten aktiviert das Belohnungssystem des Gehirns.
Arbeitssucht und Aktivitätssucht
AD(H)Sler können nur schwer nichts tun und einfach mal entspannen. Sie sind ständig auf der Suche nach neuen Erfahrungen und Erlebnissen, die sie stimulieren. Eine regelrechte Sucht nach Aktivität kann die Folge sein.
Selbstmedikation und ihre Folgen
Das hohe Suchtpotential von AD(H)S-Erkrankten im Erwachsenenalter wurde bereits erläutert. Doch entwickeln AD(H)Sler auch aus Gründen der Selbstmedikation stoffgebundene oder auch stoffungebundene Süchte. Betroffene erleben meist schon in jungen Jahren eine Verbesserung ihrer Symptome.
Warum Betroffene zu Stimulanzien greifen
Unterschiedliche Stimulanzien vermögen es, den Neurotransmitter Dopamin freizusetzen. Dies können Drogen, wie Alkohol oder Kokain, aber auch nicht stoffungebundene Stimulanzien, wie zum Beispiel das Glücksspiel, sein. Zwar wirken sich die verschiedenen Stimulanzien jeweils auf unterschiedliche Bereiche des Gehirns aus, sie haben aber alle gemeinsam, dass sie bestimmte Zellen, die Dopamin-Rezeptoren auf ihrer Oberfläche tragen, stärker und länger aktivieren.
Unterschiedliche Wirkungen bei Gesunden und ADHSlern
Während gesunde Jugendliche und Erwachsene angeben, Drogen oder andere Stimulanzien vor allem wegen ihrer euphorisierenden Wirkung zu konsumieren, verhält es sich bei AD(H)S-Erkrankten anders. Sie empfinden die Stimulanzien nicht als euphorisierend, sondern als stimmungsstabilisierend.
Risiken und Nebenwirkungen der Selbstmedikation
Doch ist diese Selbstmedikation in der Regel zum Scheitern verurteilt, weil die Folgen der Stimulanzien, also zum Beispiel der Drogen, meist schlimmer sind, als die Folgen der AD(H)S-Erkrankung. Die Einstiegsdrogen sind dabei häufig Nikotin und Alkohol, da diese leicht zu beschaffen und zudem legal sind.
Methylphenidat: Suchtfördernd oder suchtprotektiv?
Der Störung des Belohnungssystems kann durch die Gabe von indirekten Sympathomimetika entgegengewirkt werden. Methylphenidat (bekannt als Ritalin) ist so ein indirektes Sympathomimetika. Durch die Einnahme von Methylphenidat wird die Dopamin-Störung in denjenigen Hirnbereichen, die für Belohnung, Wahrnehmung und Impulskontrolle zuständig sind, wieder ins Gleichgewicht gebracht.
Wirkung auf das Belohnungssystem
Die Substanz verhindert, dass das freigesetzte Dopamin zu schnell von den Nervenzellen wieder aufgenommen wird und verstärkt damit die stimulierende Wirkung des Neurotransmitters. Doch können diese Stimulanzien selbst ein Suchtrisiko darstellen? Diese Frage wird in Fachkreisen aktuell sehr kontrovers diskutiert.
Studien zu Methylphenidat und Suchtverhalten
Die Einnahme von Methylphenidat hat eine Zunahme von extrazellulärem Dopamin im Striatum zu Folge. Durch die Einnahme der Substanz wird also das Belohnungssystem stimuliert. Dieser Faktor wird allgemein als Voraussetzung für das Suchtpotential einer Substanz angesehen. Klinische Studien hingegen bringen andere Ergebnisse zu Tage.
Fazit: Ein ganzheitlicher Ansatz gegen ADHS und Sucht
Zwischen AD(H)S und dem Auftreten von Suchterkrankungen besteht ein Zusammenhang. Erwachsene, die als Kinder unter AD(H)S litten, haben ein erhöhtes Risiko süchtig zu werden. Studien deuten darauf hin, dass dies, neben verhaltenspsychologischen Gründen, vor allem an einer Störung des Belohnungssystems liegt.
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